Partizipieren ist immer aktiv. Man kann nicht partizipiert werden. Gleiches gilt für „teilhaben“, die deutsche Entsprechung von partizipieren: Niemand kann „geteilhabt“ werden, aber Menschen können an etwas beteiligt werden, z.B. an politischen Prozessen und sich dadurch aktiv an Planungen oder Entscheidungen beteiligen. Im Gesetz verankerte Partizipationsmöglichkeiten wie Wahlen und Petitionen stehen dabei informelle(re)n Kanälen der Partizipation wie Online-Kampagnen und Social Media gegenüber. Bürger(innen) können auf die Politik zugehen oder umgekehrt. Online-Medien vereinfachen den Zugang zur Politik vielfach, aber auch offline werden Möglichkeiten der Teilhabe angeboten.
In diesem Themenspecial stellt NRW denkt nach(haltig) verschiedene Formen der Bürgerbeteiligung in Nordrhein-Westfalen vor und zeigt, wie Bürger(innen) und Politik das Land gemeinsam nachhaltig(er) gestalten wollen. Vorgestellt werden außerdem Projekte aus NRW, die die Teilhabe verschiedener Zielgruppen an politischen und gesellschaftlichen Prozessen fördern.
Gesetzlich verankerte Beteiligungsprozesse
Die grundlegendste Form der politischen Partizipation ist zur Wahl zu gehen und dadurch zu bestimmen, wer die politische Führung und die politischen Entscheidungsprozesse übernimmt. Solche Formen der Partizipation, die ganz von der aktiven Teilnahme der Bürger(innen) abhängen, gibt es in Deutschland neben Wahlen wenige. Denn Prozesse wie bundesweite Volksabstimmungen, wie z.B. in der Schweiz, sind langwierig und bergen die Gefahr, die Bürgermeinung alles andere als repräsentativ abzubilden. Außerdem setzen viele Entscheidungen Fachwissen oder die Berücksichtigung vieler Umstände voraus, was hohe Anforderungen an die Information und Meinungsbildung der Bürger(innen) stellt. Da sich globale Partizipation von Bürger(inne)n an politischen Entscheidungen als schwierig erweist, setzen Beteiligungsprozesse häufig auf niedrigeren Ebenen wie dem lokalen Umfeld an. Gleichzeitig bekommen interessierte Bürger(innen) dadurch aber die Möglichkeit, in individuellerer Form an politischen Prozessen mitzuwirken und ihre Meinung oder Expertise in entsprechenden Teilbereichen einzubringen.
In Form von Petitionen (Eingaben) können Bürger(innen) Landes- und Bundesregierung auf ihren Wunsch nach Gesetzesänderungen oder auf Benachteiligungen z.B. durch ungleiche Behandlung durch die öffentliche Verwaltung aufmerksam machen. Bei allgemeineren Petitionen, die z.B. den Wunsch nach Gesetzesänderungen betreffen, können Unterschriften dem Gesuch der Petition Nachdruck verleihen. Seit 2005 können Bürger(innen) ihre Petitionen auch online einreichen sowie diese durch digitales Mitzeichnen statt physischer Unterschriften unterstützen. Dafür wurde auf Bundesebene die Plattform epetitionen.bundestag.de eingerichtet.
Bürger(innen) werden an politischen Prozessen beteiligt
Zusätzlich zu diesen gesetzlich vorgeschriebenen Beteiligungsprozessen, beteiligen Verwaltungen und Regierungen Bürger(innen) an bestimmten politischen Planungs- und Entscheidungsprozessen. Eckpunkte für die Umsetzung von Beteiligungsmöglichkeiten, die von der Politik ausgehen, hat die Landesregierung Nordrhein-Westfalen im Rahmen der Open Government Strategie „Open NRW“ festgelegt. Sie selbst ist im Rahmen eines Dialogprozesses mit Expert(inn)en und Bürger(inne)n entstanden, der on- und offline stattfand. Zu den Zielen der Open-NRW-Strategie zählt:
„Sie will die Regierungs- und Verwaltungsarbeit – Verfahren und Abläufe – für eine rechtzeitige und intensivere Information und Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaft und Wissenschaft öffnen und dem gemeinwohlorientierten und demokratischen Miteinander neue Impulse geben. Die Grundlagen, Ergebnisse und Wirksamkeit der Regierungs- und Verwaltungsarbeit sollen dadurch verständlicher werden.“
Bürgerbeteiligung in NRW findet aber nicht erst seit der Verabschiedung der Open-NRW-Strategie statt. Einige Beispiele illustrieren die verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligung.
Bei Bürgerhaushalten, werden Bürger(innen) der jeweiligen Kommune an Fragen der Verwendung öffentlicher Gelder beteiligt. Sie können z.B. Sparvorschläge oder Ausgabenvorschläge einbringen. Am Kölner Bürgerhaushalt 2015 haben sich zum Beispiel knapp 4.000 Bürger(innen) mit über 650 Vorschlägen und knapp 20.000 Bewertungen beteiligt. Jeweils die 15 bestbewerteten Vorschläge für jeden Bezirk und die 15 bestbewerteten Vorschläge für ganz Köln werden an die Politik weiter geleitet. Die Bürger(innen) wünschen sich z.B. Sprechstunden für Flüchtlingsfrauen, fordern die Verbesserung des Radnetzes oder schlagen vor durch eine Nachtschaltung für Ampeln Geld zu sparen. Eine Liste über geplante, aktuelle und bereits durchgeführte Bürgerhaushalte in NRW bietet das Portal buergerhaushalt.org. Dort erkennt man allerdings auch, dass die Bestrebungen Bürgerhaushalte einzuführen, in einigen Städten wieder eingestellt wurden. Außerdem sind Ergebnisse von Bürgerhaushalten nicht immer so gut dokumentiert wie im Kölner Beispiel. Hier zeigt sich, dass bei diesen Formen der Bürgerbeteiligung nicht immer transparent ist, was mit den Vorschlägen aus der Bevölkerung passiert.
Ähnlich wie Bürgerhaushalte funktionieren Online-Konsultationen. Bei ihnen werden zu einem Thema bestimmte engere oder weitere Zielgruppen zu ihrer Meinung und ihren Vorschlägen befragt. So fragte die NRW Landesregierung z.B. 2011 in einer Online-Konsultation, welche Schwerpunkte NRW in der Entwicklungspolitik setzen sollte. Hier finden sich viele Anmerkungen und Vorschläge von Menschen, die in NRW im Bereich Entwicklungspolitik aktiv sind. Das Land zählt also auf die Expertise seiner Bürger(innen). Begleitet wurde der Prozess auch von Diskussionsveranstaltungen „offline.“ Ein Jahr nach Abschluss der Online-Konsultation wurde die „Eine Welt Strategie“ verabschiedet.
Auch zum Klimaschutzplan NRW gab es 2013/2014 Online-Konsultationen, die gezielt Vertreter(innen) der Kommunen, Unternehmen und Bürger(innen) ansprachen. Die Ergebnisse fließen in die Weiterentwicklung des Klimaschutzplanes ein und können online eingesehen werden. Begleitet wurde die Online-Konsultation mit Veranstaltungen wie Bürgerschaftstischen, bei denen diskutiert wurde, wie sich die geplanten Maßnahmen des Klimaschutzplans mit der Lebenswirklichkeit der Bürger(innen) in NRW vereinbaren lassen. Dies zeigt, dass Bürgerbeteiligung nicht immer nur online stattfindet.
Aktuell läuft noch bis 22. Juni 2015 die Online-Anhörung des Umweltministeriums zum Bewirtschaftungsplan und Gewässerschutz in NRW. Auch für die Überarbeitung der Landesverfassung, kann man derzeit online Vorschläge einreichen und den Prozess verfolgen. Ein Thema der Aktualisierungsdebatte ist der Ausbau der Partizipation. Wie das Ganze funktioniert, erklärt dieses Video:
Bürger(innen) engagieren sich
Während diese Wegen der Partizipation formell gestaltet sind und vor allem von der Politik ausgehen, bietet das Internet Bürger(inne)n informellere Wege Unterstützer(innen) für ein Anliegen zu gewinnen, um dieses an die Politik weiter tragen. Das Kompetenzzentrum öffentliche Informationstechnologie hat in der Studie „Digitales Bürgerschaftliches Engagement“ festgestellt, dass digitale Medien ein solches gesellschaftliches Engagement fördern, z.B. weil sie Beteiligung flexibler machen und sich die Organisation von Gruppen oder Aktionen vereinfacht.
Auf Kampagnen-Plattformen wie campact (campact e.V.) und greenaction (Greenpeace) vernetzen sich Aktivist(inn)en, die sich unter anderem für Verbraucher- und Umweltschutz einsetzen. Durch ihre Online-Kampagnen rufen sie interessierte Bürger(innen) zur Unterstützung auf, die in Form von Spenden, Demonstrationen oder Online-Aktionen erfolgen kann. Aktuell macht z.B. der BUND über greenaction auf die Gefährdung der Fledermäuse im Buschbeller Wald bei Frechen aufmerksam. Dieser soll für die Quarzsandgewinnung abgeholzt werden. Gegen diese Pläne bittet der BUND über die Online-Plattform nun Unterstützer(innen), einen Appell zu unterzeichnen, der unter anderem an NRW-Umweltminister Remmel gerichtet ist.
Auch auf eigenen Seiten und über Social Media machen Aktivist(inn)en mit Online-Aktionen auf ihre Sache aufmerksam. Dabei wird nicht immer die Politik angesprochen, sondern Aktivist(inn)en informieren andere Bürger(innen) und fordern zur Beteiligung auf.
Das Handbuch Medien und Nachhaltigkeit, das von NRW denkt nach(haltig) zusammengestellt ist und regelmäßig aktualisiert wird, informiert über die Potenziale von Social Media für Online-Kampagnen und demonstriert anhand von Beispielen einiger Nachhaltigkeitsakteure Maßnahmen und Wirksamkeit kompetenter Mediennutzung für die Bildung für nachhaltige Entwicklung. Der Beitrag der Non-Profit-Organisation 2aid.org z.B. stellt vor, wie sie Facebook nutzt, um Spenden für Wasserprojekte in Afrika zu sammeln. Einen kritischen Blick auf Online-Engagement wirft der Artikel „Nachhaltigkeit per Mausklick – nur was für Faule?“. Wie ein sinnvoller Einsatz von Social Media für Projekte im Nachhaltigkeitsbereich aussieht, erklärt Sophie Scholz, Gründerin der Initiative Socialbar „online vernetzen – offline bewegen“. Schließlich bietet das Handbuch eine Anleitung zum Selbermachen für den Einsatz von social Media durch NROs.
Verwaltung und Bürger(innen) teilen Informationen
Ein weiterer Aspekt des bürgerschaftlichen Engagements ist das Teilen von Informationen, das in verschiedene Richtungen funktioniert und aus dem wiederum ein Mehrwert für die Gesellschaft entstehen kann.
Unter das Stichwort „Transparenz“ fallen die Dokumentation von Arbeitsprozessen und die Veröffentlichung von Daten aus der Verwaltung. Die Landesregierung NRW macht Bürger(inne)n gegenüber ihr Handeln transparenter, indem z.B. Dokumente und Protokolle aus der parlamentarischen Arbeit veröffentlicht werden. Über das Dokumente-Archiv des Landtags NRW lassen sich z.B. der Bericht über die Aktivitäten in NRW zum Thema Lebensmittelverschwendung finden oder man kann die Entwicklung der Nachhaltigkeitsstrategie für NRW nachvollziehen. Diese Formen von Transparenz helfen denjenigen, die an einer bestimmten politischen Entscheidung besonders interessiert sind auch wenn diese nicht breit in der Öffentlichkeit diskutiert wird. Das birgt allerdings auch den Nachteil, dass diese Dokumente anders als z.B. Presseinformationen nicht speziell für die breite Öffentlichkeit aufbereitet sind
Verwaltungsdaten, die für die Öffentlichkeit, für Unternehmen oder Forschung nutzbar gemacht werden können, finden sich auf Bundesebene im Portal govdata. Diese offenen Daten können die Grundlage für Projekte von Bürger(inne)n oder Unternehmen bieten, z.B. für eine App, die über die Umweltzonen in Deutschland informiert. In NRW geschieht die Veröffentlichung von Verwaltungsdaten in NRW noch dezentral. Beispiel sind Geo-Daten wie der NRW-Atlas, der Kartenmaterial für die freie Weiterverwendung zur Verfügung stellt.
Ähnlich wie bei den Online-Kampagnen teilen auch Bürger(innen) untereinander Informationen und machen ihr Engagement sichtbar. Von Bürger(inne)n gefüllte Stadtwikis funktionieren z.B. als Ergänzung zu den offiziellen Webseiten der Stadt und stellen der Öffentlichkeit z.B. historische Fakten, Tourismusinformationen oder Bilder ihrer Stadt zur Verfügung. Für NRW findet sich mittlerweile ein gutes Dutzend an Stadtwikis online. Innerhalb von zehn Jahren haben sich z.B. im Münsterwiki knapp 3.500 Artikel angesammelt. Ein weiteres Beispiel, indem ehrenamtlich Engagierte Informationen sammeln, um sie der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, ist die Zeitzeugenarbeit, wie sie z.B. in Mülheim a.d.R. stattfindet.
Partizipation für ein nachhaltiges NRW ermöglichen
Die Möglichkeiten für Bürger(innen) sich online und offline an politischen Prozessen und Entscheidungen zu beteiligen sind vielfältig. Selbst aktiv zu werden setzt allerdings immer ein Wissen um die Beteiligungsmöglichkeiten und ein Interesse bzw. Verständnis für die Themen voraus. Zusätzlich sind gerade bei Formen der Online-Partizipation technische Fähigkeiten und Medienkompetenz notwendige Bedingungen um sich beteiligen zu können. In NRW setzen sich viele Institutionen und Projekte dafür ein Beteiligungsmöglichkeiten bekannter zu machen und die dafür notwendigen Kompetenzen zu vermitteln.
Hier stellen sich einige Projekte und Angebote vor:
Netzwerk Engagement älterer Menschen in der digitalen Gesellschaft
Unsere Gesellschaft wird zunehmend durch die Digitalisierung geprägt. Dies geschieht nicht nur im Bereich von Information, sondern hält Einzug in sämtliche Lebensbereiche. Ältere spielen hier bislang kaum eine aktive Rolle, sondern werden in erster Linie als Verbraucher und Konsumenten gesehen. Das Internet bietet aber auch Chancen für die Gestaltung des Alltags, den Aufbau sozialer Kontakte und die Engagementfelder älterer Menschen im direkten Nahraum (Kommune, Quartier, Stadtteil, Nachbarschaft). Die Workshopreihen in diesem Arbeitsfeld und das Netzwerk “Engagement älterer Menschen in der digitalen Gesellschaft” ermöglichen es Älteren, das Internet für ihre Engagementfelder zu nutzen.
Daniel Hoffmann, Projektleiter des Forums Seniorenarbeit NRW, erklärt im Gespräch mit NRW denkt nach(haltig) wie Senior(inn)en Online-Medien für ihre eigenen Projekte und Interessen nutzen und sie damit ihr gesellschaftliches Engagement unterstützen können.
JuMP – Jugend, Medien und Partizipation
JuMP heißt „Jugend, Medien und Partizipation“. Sich einmischen. Mitbestimmen. Politik verstehen und daran teilhaben. Mit digitaler Kompetenz. JuMP zeigt, wie es geht. Ganz praktisch. Ganz konkret. Bei diesem Projekt des Seminar- und Tagungszentrums Haus Neuland in Bielefeld dreht sich alles um die Beteiligung Jugendlicher an der Demokratie mit digitalen Medien.
aGEnda21-Projekt „jung-engagiert“ in Gelsenkirchen
Kinder und Jugendliche sind die zukünftigen Gestalter dieser Welt. Pädagogen, Eltern und Bildungsträger sind in der Verantwortung aus dieser Generation nicht nur „Leistungsträger“ der Gesellschaft zu formen, sondern viel mehr Kinder und Jugendliche zu demokratischen und verantwortungsbewussten Menschen zu erziehen. Das aGEnda21-Projekt „jung-engagiert“ will jungen Menschen aus Gelsenkirchen ermöglichen, sich für Nachhaltigkeitsthemen zu engagieren. Die Maßnahmen initiiert von Jugendlichen im Rahmen des Arbeitskreis „jung-engagiert“ in der aGEnda21 zeugen vom Engagement der Jugend für Veränderungen im Sinne der nachhaltigen Entwicklung in Gelsenkirchen. Ihre Aktivitäten machen deutlich: Nachhaltige Entwicklung ist kein utopisches Ziel, sondern das Beschreiten von Wegen in die Zukunft im jetzt und hier.
Umdenken – jungdenken! Frische Ideen für NRW
Die jugendpolitische Initiative „umdenken – jungdenken! Frische Ideen für NRW“ setzt sich für eine einmischende Jugendpolitik ein. Junge Menschen sind in ihrer Vielfalt von den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen und den Entscheidungen der Politik in vielen Themenfeldern betroffen. Stadtentwicklung, Arbeitsmarktpolitik, Infrastrukturpolitik etc. haben Auswirkungen auf ihre Lebensqualität im Hier und Jetzt – aber auch auf ihre Zukunft.
Europateam NRW – Europamodule der Landeszentrale für politische Bildung
Im „Europateam NRW“engagieren sich junge Menschen für Europa in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit. In Teams von je zwei Personen gestalten sie gemeinsam mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern spannende und anschauliche Projekttage. 2015 können nun erstmals auch Projekttage gebucht werden, bei denen das politische Geschehen hautnah erlebt werden kann – und zwar direkt in der Landeszentrale für politische Bildung NRW. Nach dem Konzept des „alternativen Lernortes“ wird somit sichergestellt, dass der Projekttag zu einem besonders nachhaltigen Erlebnis für die Schülerinnen und Schüler wird.
Sorry, the comment form is closed at this time.