Der durchschnittliche digitale Arbeitsalltag
Eine Angestellte in Deutschland. Sie schafft es heute nicht ins Büro, die Bahn streikt. Wie jeder zweite Berufstätige in Deutschland arbeitet sie dann von zu Hause, schließlich macht es ihr das gelegentliche Home Office leichter Familie und Job unter einen Hut zu bekommen. Natürlich sitzt sie heute an ihrem eigenen Laptop, aber dort ist ihr aktuelles Projekt sowieso gespeichert, denn sie nimmt ihr privates Gerät oft mit ins Büro. An diesem Tag bekommt sie 18 berufliche E-Mails. Noch vor gut drei Jahren waren es „nur“ 11 E-Mails pro Tag, aber sie ist froh nicht zu den 10 Prozent der Kolleg(innen) zu zählen, die pro Tag über 40 Mails zuzüglich SPAM erhalten. Heute fällt für sie zumindest das Mails-Checken auf dem Weg zur Arbeit aus.
Statt Mittagessen mit den Kolleg(inn)en, will sie heute in ihrer Pause an ihrer Steuererklärung weiter arbeiten. Schließlich muss sie an Bürotagen ja sonst alles abends erledigen. Die Mail um 12:43 aus dem Personalbüro beantwortet sie trotzdem schnell: Es geht ja nur darum, wann ihre letzte Dienstreise war. Jetzt funktioniert aber der neue Online-Kalender der Firma plötzlich nicht, aber deswegen ihre Schreibtischnachbarin anrufen, die ihr sonst immer hilft? Das will sie nicht. Die Mail ist dann doch erst nach einer halben Stunde beantwortet und die Steuererklärung muss dann doch bis abends warten.
Um 22:00 Uhr schaut sie dann doch noch mal in ihre E-Mails. Ihr Betrieb verlangt das gar nicht von ihr, wie die meisten deutschen Unternehmen, aber sie tut es trotzdem. Wie ein Drittel aller beschäftigten Frauen ist sie jederzeit für ihr Unternehmen erreichbar, auch über die Feiertage. Nach dem abendlichen Beantworten der Mails kann sie schlecht einschlafen, obwohl sie vorher eigentlich müde war.
Wenn auch nur ein Beispiel, zeigt diese Geschichte, dass sich hinter den vordergründigen Erleichterungen des digitalen Arbeitsalltags auch Nachteile verbergen. Damit aus dem Nutzen mobiler Geräte und neuer Technologien für die tägliche Arbeit kein Schaden entsteht, gilt es – wie auch in so vielen anderen Aspekten der Nachhaltigkeit – das richtige Maß zu finden.
Im vorliegenden Themenspecial gibt NRW denkt nach(haltig) einen Überblick über Bereiche, auf die der digitale Arbeitsalltag Auswirkungen haben kann, stellt Link-Tipps, Literatur- und Praxistipps zur Verfügung und stellt Projekte vor, die zu einer bewussteren Mediennutzung im Arbeitsalltag beitragen möchten.
Arbeit ist Arbeit und Freizeit ist Freizeit?
Über die Hälfte der Berufstätigen ist bereits der Meinung, dass sich durch das Home-Office Arbeit und Privatleben zu stark vermischen. Und auch wer eigentlich die Arbeit im Büro lässt, nimmt sie dennoch mit sich nach Hause. Das Landesinstitut für Arbeitsgestaltung (LIA) NRW hat in seiner aktuellen Studie „Gesunde Arbeit NRW 2014“ herausgefunden, dass Gedanken an die Arbeit gut ein Drittel der befragten Beschäftigten daran hindern, sich zu entspannen. Das Gefühl ständig erreichbar sein zu müssen, belastet gerade die Berufstätigen mit zusätzlicher Belastung durch Kinder oder pflegebedürftige Personen im Haushalt. Etwa ein Viertel von ihnen berichtet, sich deswegen in den letzten zwei Wochen nicht erholt zu haben.
Die Zahlen zum „Arbeitsalltag 3.0“ der BITKOM zeigen, dass hinter diesem Druck nicht nur die Unternehmen stehen, sondern vor allem die Berufstätigen an sich selbst die Erwartung stellen auch zu Hause für die Arbeit erreichbar zu sein. Schließlich verspricht das schnelle Erledigen von Mails oder Telefonaten zu Hause schon etwas für den nächsten Tag geschafft zu haben.
Effizienzsteigerung durch Multitasking und neue Technologien?
Das ständige Hin- und Herwechseln zwischen zwei Aufgaben, also z.B. der beruflichen Mail und der privaten Steuererklärung, kostet den Menschen aber im Endeffekt mehr Energie als beides nacheinander zu erledigen. Echtes menschliches Multitasking ist ein Mythos. In Wirklichkeit, erklärt Neurowissenschaftler Earl Miller, macht es uns weniger effizient und ruft Stress hervor. Aufgaben nach Wichtigkeit sortieren und alle paar Stunden ein paar Minuten Pause zu machen, seien die bessere Strategie, rät z.B. der Neurowissenschaftler Daniel Levitin.
Ebenso steigert auch nicht jede neue Technik automatisch die Effizienz eines Mitarbeiters. Der aktuelle Digital-Index der Initiative D21 hat herausgefunden, dass viele Beschäftigte beim Erlernen einer neuen Technik in ihrem Beruf alleine gelassen werden und sich die Dinge selbst beibringen müssen. Das kostet nicht nur Zeit, sondern es birgt auch für den einzelnen Beschäftigten die Gefahr, digital abgehängt zu werden. Damit sind neue Technologien, wenn sie nicht angemessen im Arbeitsalltag eingeführt werden, eine weitere Quelle von Belastung und Stress.
Arbeitsschutz am digitalen Arbeitsplatz
Davor dass der digitale Arbeitsalltag auch Auswirkungen auf das physische Befinden hat, und Haltungsschäden und Augenproblemen hervorrufen kann, wird schon seit Anfang der EDV gewarnt. Dazu kommen heute neue Erkenntnisse, wie Studien, die zeigen, dass die Benutzung LED-beleuchteter Bildschirme von Laptops, Tablets oder Smartphones kurz vor dem zu Bett gehen den Schlafrhythmus stören können.
Zum Schutz der Beschäftigten gilt schon seit fast 20 Jahren in Deutschland die so genannte Bildschirmarbeitsverordnung, die z.B. eine ergonomische Einrichtung des Arbeitsplatzes und Angemessenheit der Software an die Bedürfnisse und Kenntnisse der Beschäftigten vorschreibt. Helfen, am digitalen Arbeitsplatz gesund zu bleiben, sollen auch tragbare Technologien wie ein Sensor der die Sitzhaltung der Mitarbeiter registriert und sie gegebenenfalls zu gesünderen Positionen animiert.
Zwar gibt es verbindliche Richtlinien wie die physische Gesundheit von Mitarbeitern an digitalen Arbeitsplätzen geschützt wird, aber viele der geschilderten Probleme des digitalen Arbeitsalltags sind (noch) nicht erfasst, gerade wenn es um Vermischung von Arbeit und Privatleben oder Stress durch zunehmende Informationsflut und Multitasking geht. Einige Unternehmen begrenzen z.B. bereits den E-Mail-Zugang nach Feierabend, aber dies sind erst vereinzelte Maßnahmen in Richtung eines digitalen Arbeitsschutzes.
Was digitalen Arbeitsschutz umfasst definiert Sabria David, Mitbegründerin des Bonner Slow Media Instituts:
„Digitaler Arbeitsschutz umfasst Maßnahmen, Mittel und Methoden zur Förderung eines gesunden, produktiven digitalen Leistungs- und Arbeitsumfeldes. Ziel ist es, den Fortschritt der digitalen Technologien adäquat in die Arbeitswelt zu integrieren, die Potentiale digitaler Arbeit zu nutzen und zugleich ihren Gefährdungen mit präventiven Maßnahmen zu begegnen. Digitaler Arbeitsschutz ist ein nachhaltiger Prozess, der Organisationen konstruktiv in die digitale Zukunft begleitet. Er definiert Rahmenbedingungen für ein kooperatives mediales Klima sowie ein respektvolles, positives Leistungsumfeld und ist ein wichtiges Element verantwortungsvoller, Ressourcenschonender Mitarbeiterführung.“
Mehr Informationen und Gedanken zum Thema „digitaler Arbeitsschutz“ finden sich im Interview mit Sabria David auf dem Blog von NRW denkt nach(haltig).
Datenschutz am digitalen Arbeitsplatz
Arbeitserleichterung durch digitale Technologien und Schaden z.B. durch Mitarbeiterüberwachung können allerdings nahe beieinander liegen. Schon die Bildschirmverordnung und weitere Datenschutzgesetze verbieten die qualitative und quantitative Kontrolle von Mitarbeitern ohne deren Wissen. Dass dies dennoch – sowohl mit als auch ohne Wissen der Betroffenen – geschieht, zeigen die Überwachungsskandale der letzten Jahre. So erhielt z.B. REWE 2014 den Negativpreis „Big Brother Award“ für den Einsatz einer Software, die in ihrem Call-Center nicht nur Gespräche mitschneidet sondern auch Klick- und Tippbewegungen der Mitarbeiter(innen) registriert.
Tragbares Terminal für den Einsatz in Lagerhallen.
In der digitalen Zukunft, wird die Grenze zwischen Arbeitserleichterung und Überwachung durch Technik noch fließender. In Form von Datenbrillen oder tragbaren Sensoren oder gar implantierten Chips rückt die digitale Technik noch näher an den Mitarbeiter als der Computerbildschirm. In der so genannten Industrie 4.0, die u.a. auf Prozessoptimierung durch Daten und Technik setzt, registrieren z.B. vernetzte Geräte am Körper der Mitarbeiter(innen) welche Produkte sie gerade in der Hand haben. Das erspart zwar das Ausfüllen von Laufzetteln, aber zeichnet auch die Schnelligkeit des Mitarbeiters auf. Aus gesteigerter Effizienz durch digitale Technologie kann also auch schnell Effizienzüberwachung werden.
Medien
- In der Ausgabe der Rubrik Netzdebatte zum Thema „Das Internet der Dinge“ der Bundeszentrale für Politische Bildung erklärt Eckhardt Hohwieler vom Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik des Fraunhofer Instituts, was heute unter dem Begriff Industrie 4.0 zu verstehen ist, und wie sich diese Entwicklungen auf die menschliche Arbeit auswirken.
- In der Ausgabe „Schöne neue Welt, der Preis des Teilens“ widmet sich das Panorama, das Politikmagazin des NDR, dem Thema „Share economy“. Die Sendung zeigt, dass neue Online-Geschäftsmodelle, wie der Taxidienst „Uber“ nicht nur das positive Potenzial zum Teilen von Ressourcen bieten, sondern auch zu unkontrollierter (Selbst-)Ausbeutung dieser neuen Art von Freiberufler(inne)n führen können.
Literatur
- Der Band „Medien nachhaltig Nutzen: Beiträge zur Medienökologie und Medienbildung“ (2012) aus der Reihe „Medienkompetenz NRW“ umfasst Artikel, die auf die Frage antworten: Wie können Medien nachhaltig genutzt werden? Dies umfasst sowohl die ökologische Perspektive von Ressourcen- und Stromverbrauch durch Medien, als auch die soziale Dimension von Mediennutzung in ihren Auswirkungen auf soziale Beziehungen, Kommunikation und Privatleben.
- Im „Slow Media Manifest“ fassen die Gründer des Bonner Slow Media Instituts, Benedikt Köhler, Sabria David und Jörg Blumtritt, 14 Eigenschaften zusammen, die „Slow Media“ ausmachen. In Anlehnung an die Slow-Food-Bewegung sind dabei unter „Slow Media“ Medien und Mediennutzung zu verstehen, die nicht auf schnelle Konsumierbarkeit von Medien setzen, sondern auf ihre sorgfältige Auswahl, den sachgerechten Umgang und ihre nachhaltige Nutzung. Das „Slow Media Manifest“ wurde in acht Sprachen übersetzt und wird in über 30 Ländern debattiert.
- Auf der 3. NRW Nachhaltigkeitstagung wurde im November 2014 in Mülheim a.d. Ruhr über Leben, Arbeiten und Wirtschaften im NRW des Jahres 2030 diskutiert. In der Dokumentation der Tagung findet sich zum Beispiel die Zusammenfassung des Themenforums „Gute und faire Arbeit“, in dem unter anderem über die veränderten Formen moderner Arbeit wie selbst gestaltetes Arbeiten diskutiert wurde. Die Ergebnisse der Tagung fließen in die Nachhaltigkeitsstrategie des Landes NRW ein, die bis Ende 2015 entwickelt werden soll.
Praxistipps
- Die Broschüre „IM BLICKPUNKT: Medienökologie“ gibt auf sechs Seiten Antworten auf die Fragen: Wie können wir ökologisch und sozialverantwortlich Medien nutzen? Wie Kommunikation gestalten? Und: Wie Gesundheitsgefährdungen und Umweltbelastungen vermeiden? Außerdem werden Tipps gegeben, was der Einzelne tun kann, um seinen Medienalltag nachhaltiger zu gestalten.
- Das Projekt iRights.info erklärt gemeinsam mit klicksafe die rechtliche Lage zur Überwachung von Computer und Internet am Arbeitsplatz in Deutschland.
- Die eEtiquette, eine Initiative der Deutschen Telekom, gibt online, als App, Buch oder Poster in kurzer und oft unterhaltsamer Form „101 Leitlinien für die digitale Welt“. Darunter auch Tipps für die digitale Kommunikation im und rund ums Büro, z.B.:
„Reduziere deinen CC-Ausstoß. Denk an deine Umwelt und setze nur diejenigen in CC, die Bescheid wissen müssen.“
Projekte
Digitaler Arbeitsschutz: Arbeiten in der digitalen Gesellschaft
Erreichbarkeit auf allen Kanälen, überquellende Mailboxen und explodierende mobile Daten. Nachdem lange die Frage der technischen Machbarkeit im Vordergrund stand, rückt nun immer drängender die Frage nach der Kulturtechnik in den Mittelpunkt: Wie können wir nachhaltig und sinnvoll mit diesen technischen Möglichkeiten umgehen? Wie definieren wir den konstruktiven Einsatz digitaler Medien für das Leben und die Arbeitswelt der Zukunft? Digitaler Arbeitsschutz schließt diese Lücke. Entwickelt wurde das Präventionskonzept des Digitalen Arbeitsschutz von Sabria David, der Mitgründerin des in Bonn ansässigen Slow Media Instituts.
Colabor | Raum für Nachhaltigkeit
Das Colabor | Raum für Nachhaltigkeit ist Co-Working Space, Veranstaltungsraum und Anlaufpunkt für die Nachhaltigkeitsszene in Köln. Um die 20 Unternehmen, Freiberufler, Berater, Vereine und Verbände nutzen das Colabor als Arbeitsplatz und setzen in ihrer Arbeit Impulse für gesellschaftlichen Wandel. So ist das Colabor ist Sitz von ‘dasselbe in grün – Verband der nachhaltigen Unternehmen e.V.’, einem deutschlandweiten Netzwerk nachhaltig arbeitender Unternehmen und ein lokaler Partner von Greenpeace Energy.
Sustainable Business Angels Initiative
Innovative Ideen und verantwortungsbewusstes Unternehmertum sind notwendig auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung unserer Gesellschaft. Die erfahrenen Unternehmer der Initiative “Sustainable Business Angels” (SBA) begleiten und unterstützen daher junge Unternehmer mit ihrem Know-how, ihrem Ideenreichtum und ihren Netzwerken. Darüber hinaus entwickelt die Initiative gemeinsam mit unabhängigen Experten Leitlinien, die aufzeigen sollen, wie eine frühzeitige Umsetzung von Corporate Social Responsability (CSR) in die Unternehmensprozesse erreicht und begutachtet werden kann.
Dialogprozess Arbeiten 4.0 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales
Bundesministerium für Arbeit und Soziales eröffnete im April 2015 den bis Ende 2016 angelegten Dialogprozess „Arbeiten 4.0“, in dem sowohl Experten als auch Bürger(innen) in den Dialog über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft treten. Grundlage des Dialogs bildet das Grünbuch Arbeit 4.0, das Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles zum Auftakt in Berlin vorgestellt hat. Einerseits diskutiert ein Expertenkreis aus Wissenschaft und Praxis diese Grundlage. Andererseits bietet die Webseite www.arbeitenviernull.de eine Plattform für alle Bürgerinnen und Bürger, die mitdiskutieren möchten. Auch per Facebook und Twitter (#arbeitenviernull) können sich Bürger(innen) beteiligen. Die Beiträge aus dem Online-Bürger-Dialog fließen dann in ein zu erstellendes Weißbuch ein.