Bereits 1997 ließ das Bundesumweltministerium mit No Future ein Computerspiel entwickeln, das anhand des Leitbildes der nachhaltigen, umweltgerechten Entwicklung das Denken in globalen Zusammenhängen und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für zukünftige Generationen fördern sollte. Seitdem hat sich viel getan: Games müssen nicht mehr auf 3,5‘‘ Disketten passen, sondern sie kommen aus dem Netz auf alle möglichen Geräte und werden als Informations- und Bildungsmedien ernst(er) genommen.
Welche Potenziale Computerspiele für die Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE) haben, erörtert dieses Themenspecial. Es wird erklärt, was die verschiedenen Formen von Serious Games ausmacht und wie sie jeweils einen Beitrag für die BNE leisten können. Beispielhafte Games, die sich für den Einsatz in Bildungskontexten eignen, werden genauer vorgestellt.
Warum Spiele(n)?
Dadurch dass Games längst nicht mehr nur über Computer oder Konsole gespielt werden können, sondern man sie auf mobilen Geräten wie Smartphones immer mit dabei hat, werden sie zu einer immer beliebteren medialen Freizeitbeschäftigung und das nicht nur für Kinder und Jugendliche. Der Bundesverband der Unterhaltungsindustrie (BUI) berichtet, dass im Jahr 2014 fast jeder zweite Deutsche digitale Spiele spielte. Unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen liegt der Anteil der Gamer bei über 80 Prozent. Absolut gesehen, dominieren jedoch Erwachsene den Markt. Dabei müssen die Spiele nicht immer das Produktionsbudget eines Hollywoodfilms übersteigen. Simple Spiele wie Angry Birds, so genannten „Casual Games“, mit denen man sich einfach die Zeit vertreibt werden immer beliebter.
Für die Bildung für Nachhaltige Entwicklung über Computerspiele bietet sich hier eine Chance, denn zum Einen erreichen Spiele immer mehr Menschen, zum Anderen sinkt die Entwicklungshürde durch die Verbreitung mobiler Geräte und die Beliebtheit einfacher Games. Eine Nachhaltigkeitsbotschaft als Spiel zu verpacken, ist dabei nicht unbedingt ein Umweg, sondern die Eigenschaften des Mediums bieten Vorteile, die Texte oder Filme nicht haben.
Nachhaltigkeit ein Thema in Spielen und für Spiele
Im Open Book für Nachhaltigkeitskommunikation zeigen Robert Baumgartner und Elisabeth Hollerweger an den Beispielen des Aufbaustrategiespiels Anno 2070 und des Adventure-Games A New Beginning, dass Computerspiele ein hohes Potenzial für die Förderung von Gestaltungskompetenz aufweisen. Im Gegensatz zur rein sachlichen Informationsvermittlung, z.B. in TV-Dokumentationen, schaffen Computerspiele fiktionale Welten. Wie im Spiel Anno 2070 können diese Spielräume eine Welt nach der Klimakatastrophe zeigen und damit veranschaulichen und greifbar machen, was noch nicht ist. Spieler(innen) identifizieren sich zudem mit den Figuren, die sie durch diese Spielewelten steuern, so dass sie ihre Perspektive teilen. Auf dieses Potenzial setzen so genannte „Empathy Games“ wie Die Ausbeuterfabrik, das versucht Spieler(inne)n, die Welt aus der Sicht von Menschen zu vermitteln, die in Textilfabriken unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten müssen. Anders als z.B. beim Sehen von Filmen, bei denen Fiktion und Identifikation ebenfalls wichtig sind, muss ein Computerspieler stets handeln und dabei die Konsequenzen seiner Entscheidungen bedenken. Diese Zusammenhänge können sehr komplex sein, was beim Spieler vorausschauende Planungskompetenzen trainiert.
Die US-amerikanische Computerspieldesignerin Jane McGonigal betont außerdem, dass es in Spielewelten – und seien sie noch so dystopisch – immer Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten gibt. Ihrer Meinung nach, macht dies Computerspieler zu anpackenden Problemlösern, die je nach Spielgenre auch gelernt haben, Herausforderungen gemeinsam zu meistern. Dabei, so erklärt sie, liegt den Spielen meist der Optimismus zu Grunde, dass es für Probleme immer eine Lösung gibt. Eine Belohnung für jedes gelöste Problem, gibt das Gefühl etwas erreicht zu haben und motiviert für die nächste Aufgabe.
Übertragen auf die BNE bedeutet das, dass Spiele abstrakte Realität oder Zukunftsszenarien wie den Klimawandel greifbar und emotional erfahrbar machen können. Komplexe Sachverhalte wie die Auswirkungen der Endlichkeit von Ressourcen bilden sich in Spielmechaniken ab und Spieler(innen) können durch Versuch und Irrtum selbst erfahren, welche Faktoren auf welche Weise miteinander zusammen hängen, was einen selbstgesteuerten Lernprozess anstößt. Lässt sich schließlich die Grundeinstellung, dass jedes Problem über viele kleine Schritte gelöst werden kann, in den eigenen Alltag übertragen, erscheinen kleine Verhaltensänderungen nicht mehr als Tropfen auf den heißen Stein, sondern als Beitrag zu einer kollektiven Anstrengung.
In wie weit eine solche Übertragung von Spiel zu Realität gelingen kann, ist jedoch schwer zu messen. Eine Überblicksstudie der Landesanstalt für Medien NRW zeigt, zum spielbasierten Lernen gibt es nur wenige aussagekräftige Studien und Ergebnisse veralten aufgrund technischer Innovation schnell. Ebenso mangelt es an Langzeitstudien. Bewiesen werden konnten aber z.B. die positive Auswirkung eines Lernspiels auf das Essverhalten von Schüler(inne)n sowie Lerneffekte in Geografie, Geschichte oder beim Erwerb von Fremdsprachen.
Formen von Serious Games
Spiele, die sich unsere Realität zur Grundlage ihrer Erzählungen und den Handlungsmöglichkeiten der Spieler(innen) machen, bringen im besten Fall nicht nur Spielspaß, sondern vermitteln auch Wissen, trainieren gezielt Fähigkeiten und beeinflussen Verhaltensweisen. Solche Spiele werden allgemein „Serious Games“ – ernst(haft)e Spiele – genannt. Sie kommen in vielen Bereichen zum Einsatz, z.B. um jungen Krebspatienten ihre Therapie zu erklären oder Analphabeten beim Lesenlernen zu unterstützen.
Dass auch Fragen der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit ein Thema für Serious Games sind, zeigt die Liste der Nominierten und Gewinner des Deutschen Computerspielpreises in dieser Kategorie: Zu ihnen zählen z.B. Menschen auf der Flucht, das für Schüler(innen) die Themen Flucht und Vertreibung mit all ihren Konsequenzen persönlich erlebbar macht oder das Junior-Ranger-Web, in dem Kinder Naturparks in Deutschland virtuell erkunden können. Serious Games gibt es in allen Spiele-Genres von Simulation, über Adventure bis Action. Daneben können sich Serious Games aber auch in ihrer Form und ihren Zielen unterscheiden und damit auf unterschiedliche Weise für die BNE nutzbar werden.
Lernspiele
Lernspielen liegt die Idee zugrunde mit Hilfe der motivierenden Eigenschaften von Spielen, Informationen, Wissen oder Fähigkeiten zu vermitteln. Oft werden sie in Bildungskontexten gespielt und von pädagogischen Konzepten begleitet.
In einer Analyse englischsprachiger Nachhaltigkeits-Games, zeigte sich das Quiz als häufigste Spielart. Spieler(innen) beantworten dabei meist Multiple-Choice-Fragen sehen, ob sie richtig liegen und erhalten ergänzende Informationen. Dieses Ergebnis verwundert nicht, da ein Quiz schon über simple HTML-Befehle oder entsprechende Plug-Ins wie SlickQuiz für WordPress leicht zu erstellen und in bestehende Webseiten einzubauen ist. Dieses Spielformat birgt allerdings das Risiko, den Spaßfaktor des Spiels hinter die Informationsvermittlung zurück zu stellen. Das Online-Quiz zum Thema Nachhaltiger Konsum des BildungsCent e.V., das in Kooperation mit Bundesumweltministerium und Umweltbundesamt entstand, lockert deswegen die Fragerunden mit kleinen Konzentrationsspielen auf.
Wie schon das Beispiel Anno 2070 zeigt, eignen sich Simulationen und Strategiespiele ebenfalls für den Erwerb von Nachhaltigkeitswissen, da sie komplexe Wechselwirkungen (in vereinfachter Form) abbilden und vorausschauendes Handeln fördern. Spieler(innen) werden dabei zu Forscher(inne)n, die durch Ausprobieren Zusammenhänge verstehen lernen. Dabei muss auf die Auswirkung der eigenen Handlung z.B. auf das Klima nicht erst Jahrzehnte gewartet werden, sondern der Spieler erhält unmittelbar ein Feedback zu seinen Entscheidungen. Das Spiel LandYOUs, das am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) entwickelt wurde, simuliert z.B. die komplexen Beziehungen von nachhaltigem Landmanagement und menschlichem Wohlergehen. Berücksichtigt werden dabei sowohl ökologische als auch ökonomische und soziale Faktoren. Nur ausgewogene Investitionen führen zum Ziel die Lebensqualität in der Spielumwelt zu verbessern. Im Gespräch mit NRW denkt nach(haltig) erklärt Andreas Werntze, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am UFZ, den Entstehungsprozess von LandYOUs und berichtet von Erfahrungen im Praxiseinsatz des Lernspiels.
Gamification
Das Prinzip der Gamification überträgt Funktionsweisen des Computerspiels auf die Welt außerhalb eines Spiels. So werden z.B. Herausforderungen, so genannte „challenges“ an einzelne Personen oder Teams gestellt und Belohnungen verteilt, wenn sie erfolgreich gemeistert werden. Christian Kaufmann, Mitbegründer der Initiative weact.ch, berichtet z.B. von der We act Challenge, die an der ETH Zürich durchgeführt wurde. Ziel war es mit seinem Team den nachhaltigsten Lebensstil zu führen. Für jedes positive Verhalten, z.B. Lebensmittel aus der Region zu kaufen, gab es Punkte, die den Vergleich mit den Mitspielern ermöglichen. Teilnehmer(innen) haben durch den Wettbewerb begonnen vegetarisch zu essen oder sich Fahrräder zu kaufen. Das Beste daran, erklärt Christian Kaufmann:
„Wir haben ihnen nicht gesagt, dass sie das tun sollen, sondern es war ihre eigene Motivation diesen neuen Lebensstil selbst auszuprobieren und sie haben gesehen, dass es gar nicht so schlecht ist so nachhaltig zu leben, dass es eigentlich sehr bereichernd ist für ihr soziales und persönliches Leben.“
Einem ähnlichen Prinzip folgt das österreichische Web-Angebot Ein guter Tag hat 100 Punkte, mit dem Nutzer(innen) ihren eigenen Ressourcenverbrauch über den Tag protokollieren und den daraus resultierenden CO2-Fußabdruck in Punkte umrechnen können. Die Herausforderung: Statt wie im tatsächlichen Durchschnitt 450 Punkte pro Tag zu verbrauchen, soll man versuchen unter 100 Punkten, d.h. unter 6,8 kg CO2, zu bleiben. Denn um das Klima im Gleichgewicht zu halten, sollte diese Menge nicht überschritten werden. Über Gamification lässt sich also das Alltagsverhalten von Spieler(innen) direkt beeinflussen.
Newsgames
Werden aktuelle Themen aus den Nachrichten als Spiel aufbereitet, handelt es sich um Newsgames. Auch hier geht es darum, komplexe Zusammenhänge erfahrbar zu machen. Markus Bösch, der mit PRISM das erste, viel diskutierte, Newsgame in Deutschland entwickelt hat, charakterisiert das Genre folgendermaßen:
„Newsgames, also Spiele, die im journalistischen Kontext Verwendung finden und bei deren Erstellung journalistisch-ethische Grundregeln eingehalten werden, ermöglichen im Unterschied zu traditionellen linearen Medien die interaktive Erfahrung von Inhalten.“
Die BBC machte kürzlich z.B. in Syrian Journey deutlich, welche Gefahren und Konsequenzen Flüchtlinge auf ihrem Weg nach Europa abzuwägen haben. Auch hier geht es darum, Empathie zu schaffen. Ebenfalls mit dem Syrienkonflikt beschäftigt sich Endgame Syria. An der Kritik dieses Beispiels zeigt sich aber auch, dass für die Entwicklung von Newsgames oft nur wenig Zeit bleibt und sie deswegen an vielen Stellen vereinfachen müssen, was dem Vorteil von Games, Komplexität abbilden zu können zuwider läuft.
Dass Spiele sich auch zur Gesellschaftskritik eignen beweist Frontiers, in dem man entweder die „Festung Europa“ gegen Flüchtlinge verteidigen oder selbst versuchen muss, aus Osteuropa oder Afrika in die EU zu gelangen. Interessant ist, dass Frontiers auf dem kommerziellen Ego-Shooter Half-Life basiert, dessen berühmteste Modifikation das umstrittene Spiel Counter-Strike ist, welches zum Sinnbild für das angeblich gewaltfördernde Potenzial von Computerspielen geworden ist. Hier zeigt sich noch einmal deutlich, Computerspiele sind ein Medium, in das sich viele Botschaften verpacken lassen und das auf vielfältige Weise zur Debatte anregen kann.
Beispielhafte Nachhaltigkeits-Games
Ein guter Tag hat 100 Punkte
Welcher Lebensstil tut uns gut? Und welcher Lebensstil ist verträglich, um die Welt und unser Klima auch in Zukunft im Gleichgewicht zu halten? 100 Punkte sind das tägliche Budget. Dahinter steht eine für alle Menschen verträgliche Lebensweise. Auf www.eingutertag.org erfährt man, was im eigenen Alltag wie viele Punkte einnimmt und welche Veränderungen am wirkungsvollsten sind. Auch eine Brettspielvariante als Memory-Spiel ist erhältlich.
LandYOUs – Das Online-Spiel zur nachhaltigen Landnutzung
Wer wollte nicht schon mal die Geschicke eines Landes über einfache Investitionen regieren und dabei erfolgreich punkten? In diesem Spiel schlüpfen Spieler(innen) für zehn Runden in die Rolle eines Politikers bzw. einer Politikerin und steuern mittels verschiedener Politikmaßnahmen was auf und in einem Land passiert. Ziel ist es über diese Zeit das Kapital so zu investieren, dass gleichzeitig wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Erfolg möglich ist.
Die Ausbeuterfabrik
Das Online-Spiel „Die Ausbeuterfabrik“ versetzt die Spieler(innen) in die Situation eines/r Textilarbeiter(in) in einem Billiglohnland, das sich in Asien oder Zentralamerika befinden könnte. Das Spiel macht nicht nur den Arbeitsdruck in den „Schwitzbuden“ spürbar, sondern auch die Demütigungen durch Fabrikaufseher(innen) und die wirtschaftliche Not der Näher(innen).
NomadSed: Ein Brettspiel zu nachhaltiger Landnutzung in Trockengebieten unter Wandel
Spielend lernen, forschen und zusammenarbeiten. NomadSed ist ein strategisches Brettspiel, bei dem die Spieler in die Rolle von Hirtennomaden schlüpfen. „Wie kann ich meine Viehherde in dieser kargen Landschaft versorgen?“ „Bringt es etwas, mit meinem Nachbarn zu kooperieren, um das Vieh gegen Diebe zu schützen?“ Dies sind nur zwei der Herausforderungen, mit denen die Spieler geschickt umgehen müssen. Hierbei ist NomadSed spannend und lehrreich zugleich. Aktuelle Probleme, denen nomadische Gesellschaften überall auf der Erde gegenüberstehen, werden spielerisch umgesetzt und bieten somit einen Blick in eine besondere Welt.
Change City: Ein neues Instrument der Kriminalprävention
Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Homophobie und Islamophobie: Das sind Erscheinungsformen, die der Erziehungswissenschaftler Wilhelm Heitmeyer als „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bezeichnet. Das Serious Game „Change City“ wurde als Präventionsmaßnahme gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit für die Arbeit mit Jugendlichen entwickelt. In seiner Startversion „Change City“ schwerpunktmäßig die Themenbereiche Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Homophobie im Fußball, Islamophobie und Rechtsradikalismus im Internet. Das Spiel ist auf Smartphones und Tablets online und offline spielbar und steht kostenlos bei iTunes und im Google Play Store zum Download bereit.